Ein Studienfach an der Hochschule ist die Arbeit mit dem Wort, die Textarbeit. In der Faschingswoche erarbeiteten wir gemeinsam das Gedicht „Selbstkritik“ von Heinz Grill.
Viel zu oberflächlich gleiten die Sinne normalerweise an den Worten vorüber, wenn man ein Gedicht liest. Dieses hier hat, so wird man beim ersten Erfassen wohl bemerken, einen intensiven Gehalt, eine Schönheit, eine Komposition.
Man achte einmal auf folgenden Umstand: Jemand möchte das Gedicht gerne verstehen und liest es so oft, bis er es verstehen kann. Der Leser möchte mit dem Willen in das Gedicht eindringen und etwas aus ihm herausholen. Nun aber verschließt sich die Komposition, entzieht sich dem Verständnis.
Indem jemand das Gedicht rezitiert und die einzelnen Sätze und Worte langsam und empfindsam spricht und wie in den Raum hineinstellt, beginnt es langsam zu leben, es öffnet sich mehr für den Leser und für den Zuhörer. Der in dieser Weise Rezitierende gewinnt eine Beziehung, indem er es neu hervorbringt und der Zuhörer gewinnt einen Bezug, indem er es hörend neu erlebt.
Über die wiederholte Hinwendung über mehrere Tage in dieser Art, erlebten wir, dass die Substanz hinter den Worten uns näher kam und es entstand ein Empfinden für die Wahrheit in den Worten. Die Seele lebte sich nach und nach in den Gehalt und die Logik des Textes ein.
Ein Verstehen des Gedichtes ist dann gegeben, wenn über die Auseinandersetzung die Bezüge so gewachsen sind, dass man den Inhalt unverfälscht, jedoch mit eigenen Worten wiedergeben kann.
Das Gedicht, dem wir uns in der Faschingswoche hingewendet hatten, ist von Heinz Grill und die Vorgehensweise, die ich zur Beziehungs- und Erkenntnisbildung geschildert habe, entspricht dem Geistschulungsweg, den er zur Entwicklung einer Seelen- und Geistreife für den heutigen Menschen entwickelt hat. Konkret, klar, nachvollziehbar, überprüfbar und doch in tiefsinnige seelisch-geistige Bereiche führend.
Sigrid Groß-Göritz, 21.2.24
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